Sonntag, 5. November 2017

Jetzt geht's los

September 2017: Brief von der Mammographie Screening Einheit im Fach mit Termineinladung - ich bin jetzt 50, habe ein kostenloses Screening gewonnen :-)

Frau G ruft an, berufliche Widrigkeiten machen es mir im September unmöglich zu erscheinen, aber umsonst ist umsonst, ich komme - keine Frage! Termin für den 10.10. 
vereinbart.

10.10. Screening Termin.

16.10. Hurra - die Post ist da - ein Brief von der Mammographie Screening Einheit - ich solle mir keine Sorgen machen, aber sie haben mir schon mal einen Termin für den 18.10. vormittags reserviert, ich soll doch mal vorbeikommen. Dies ist wahrscheinlich bla bla - nur Routine - bla bla

18.10. Erster Befund - Sie sehen da - und sehen Sie da ... Frau G ratlos. Wir müssen eine Biopsie machen. Frau G.: "Ich mag aber nicht noch vier Wochen warten, bis ich da einen Termin bekomme." "Kein Problem, legen Sie sich hin." "Was passiert da mit mir?" "Wir betäuben lokal und stanzen 2 - 4 x Gewebeproben aus der betroffenen Region." Ich wische mir den Angstschweiß von der Stirn, aber was nicht sein kann, kann nicht sein. Brustkrebs? In unserer Familie? Nö. Also. Beste Voraussetzung. Ich lege mich hin, lasse stanzen, ertrage 4 x den Knall. Montag 23.10. ist die große ominöse Tumorkonferenz, da werden alle Fälle besprochen. Alle? Alle Krebsbefunde? Man entlässt mich mit einem Termin für den 24.10. und einem Coolpad im BH - ich mache mich auf den Weg ins Büro. Erste Rückmeldung von Freunden: "Da ist nichts, da kann nichts sein."

24.10. Angebote von lieben Menschen ausgeschlagen - ich gehe allein zum 3. x in die Screening Einheit - gut eine Woche ist vergangen. Ich habe mir eine Google-die-Symptome-Sperre auferlegt, mein Herz rast. Ich werde ins Separee gebeten. "Wie wir schon vermutet haben, haben sich unsere Befürchtungen bestätigt. Sie haben einen Tumor. Auch der eine Lymphknoten sieht komisch aus .... bla bla bla." Frau G aus B ist geschminkt, die Haare sitzen, bereit für den Weg ins Büro - aber trotz aller Bemühungen - die Tränen fliesen. Frau Doktor, sicher Mitte 50, verbreitet hektische Aktivitäten, verlässt das Büro mit der weinenden Frau, sammelt Broschüre zusammen (Leben mit Brustkrebs, nützliche Adressen....), setzt sich wieder. Mir hat keiner ausdrücklich gesagt, dass das Screening Anlass zu Befürchtungen gibt, wir klären in meinen Augen immer noch ab. "Sie müssen jetzt in ein Brustkrebszentrum, da gibt es so 10 in Berlin, wo wollen Sie denn hin?" Brustkrebs? Ich? Ist das fundiert? "Ähhh Waldfriede soll gut sein" - dabei wische ich die Tränen weg, die nicht aufhören wollen zu fliessen. Frau Doktor greift zum Telefon - Termin im Brustkrebszentrum Waldfriede 2 Tage später - Halleluja. "Hier ist der Befund, die CD mit Fotos, dort sind Sie gut aufgehoben, alles Gute." "Ich kann jetzt so nicht ins Büro." "Sorry, wir dürfen Sie nicht krankschreiben, da müssen Sie zu Ihrer Frauenärztin." 

Die Haare sitzen, die Schminke nicht mehr, Frau Panda G aus B verlässt die Praxis mit einem großen Umschlag mit Bildern, Befunden, Broschüren, Treppe runter - klassisch im EG an der Wand erst einmal bis zum Boden runterrutschen - Tränen. Zittern. Wie jetzt? Wohin mit mir? Nach Hause? Wie?

Mitten auf der Schloßstraße - ich weine und weine - zittere. Der große Umschlag an meiner Brust. In der Tat - Menschen gehen vorbei - gehen ihres Weges - who cares? Scham gepaart mit Schmerz, Angst - ich weine - mir doch egal. Ich fummel nach meinem Handy. Rufe meine Heldin an. Meine Schwester. "Ich habe einen Tumor - ich kann kaum noch stehen, laufen, wie komme ich jetzt nach Hause? Wo bekomme ich eine Krankschreibung her?" Kirsten R aus B: "ich stehe um die Ecke, sitze im Auto, wir treffen uns jetzt Herman-Ehlers-Platz." Erleichterung. Ich muss da nicht ganz alleine durch. Meine Beine wollen mich kaum tragen, 10 Meter bis zum Hermann-Ehlers-Platz, das muss zu schaffen sein. Dann das vertraute Gesicht, voller Sorge, voller Tränen und ich kann mich fallen lassen. Sie geht nicht an mir vorbei, sie nimmt mich in den Arm und vor dem Café weinen wir - egal, was die Leute von uns denken, sehen wir eh nicht wieder. Sie bringt mich nach Hause, besorgt die Krankschreibung von meiner Frauenärztin, die mich nicht kennt - ist da. Mein großes Kind kommt nach Hause, sieht mich, lässt alles fallen und weint. Ich tröste, so gut ich kann. Aber was kann ich sagen? Wird alles gut? Ich leide, mit ihm, mit mir, mit meiner Schwester, meinen Eltern. 

Krebs? Ich? Hm - doch, alles wird gut. 

26.10. Meine Heldin-Schwester fährt mit mir ins Brustkrebszentrum. Alles sehr nett da, man kennt meinen Namen - ich war schon Thema auf der Tumorkonferenz, an der auch Frau Dr. Brückner teilgenommen hat, die das Brustkrebszentrum im Waldfriede leitet und ins Leben gerufen hat. 

Frau Dr. T. bittet uns rein, meine Schwester darf mit. Sie malt uns Bilder, klärt auf, 30 Minuten, erklärt, ich bin erst G1, habe gute Chancen, dass nach der OP Tabletten (Anti-Hormon-Therapie) sich andoggen, weil meine Rezeptoren gut performen, Bestrahlung und vielleicht Chemo - alles wird gut. Ich, 50, seit 6 Jahren in den Wechseljahren und mit Hormongel und Hormontabletten dagegen mit einem Tumor, der Dank Hormone wächst und gedeiht. Meine Mama - ahnungslos. Wie könnte ich ihr den Kummer zumuten? Uns werden Bilder aufgemalt, der Tumor sitzt in der rechten Brust auf 8 Uhr. Und ja - da ist auch ein auffälliger Lymphknoten. Wir machen das jetzt und biopzieren ihn auch - legen Sie sich hin. Meine Schwester an meiner Seite - hält meine Hand - peng, knall - die nächste Stanzbiopsie. "Sie brauchen einen Termin - der Tumor muss raus und ggf. bis zu 10 Lymphknoten - wir gucken, was die Biopsie sagt." Der Wächterlymphknoten wird generell mit entfernt. Er wacht darüber, dass keine Tumorzellen unerlaubt in den Kreislauf kommen - nur tut er das leider nicht. Die Biopsie ist schmerzhaft, ich liege entblöst da - meine Würde? Egal. K ist jetzt Bestandteil meines Lebens - nur leider ist das bei mir noch nicht angekommen. "Er ist nicht so aggressiv - wächst nicht so schnell." "Wann werde ich denn operiert?" "Ach - 3 - 4 Wochen haben wir schon, gehen Sie bitte zu Schwester XYZ, die macht einen Termin mit Ihnen." Es ist Donnerstag, 11.30 h in Deutschland, sie haben sich unendlich viel Zeit gelassen, uns aufzuklären, Fragen waren erlaubt - wir hatten keine. Schwester XYZ stellt sich vor, Montag könnte ich zur Aufnahme kommen, dann nochmal nach Hause, Dienstag ist ein Feiertag, Mittwoch soll ich dann operiert werden. Wow was für ein Tempo. 6 Tage.

27.10./28.10/29.10: Eine Puls von 120 ist mein ständiger Begleiter. Kann man aushalten. Geht aber auch irgendwann nicht mehr. Ich drehe frei, denke, alles wird gut, denke, alles ist schlecht. Up and down! Kann manchmal kaum noch geradeaus laufen, atmen, rufe mich zur Ruhe - bin Mutter. Alles wird gut.

30.10. Aufnahmeprozedur. Blutabnahme. Fragenkatalog abgearbeitet und mein großes Kind an meiner Seite. Aufnahmegespräch. "Sind die Ergebnisse von der Biopsie des Lymphknoten da?" "Ja, Tumorzellen gefunden. Wir entnehmen erstmal ca. 10 Lymphknoten. Gucken, ob wir den Tumor gut entfernt haben (warten auf den Befund des Pathologen) und wenn nicht, gibt es eine 2. OP." Ich habe drei Kinder, Zwillinge per Kaiserschnitt und habe so eine Angst vor der OP - ich komme kaum noch klar. Puls rast, Herz rast - Krebs ich? Nö - immer noch nicht.

Feiertagsdienstag mit meiner Heldin und ihrer Familie verbracht, meine Eltern - alles etwas seltsam - lebe noch und trotzdem das Bedürfnis, Zeit mit mir wichtigen Menschen zu verbringen. 

Bäm - mein Handy gibt keine Ruhe - Whatsapp explodiert, Kollegen, liebe Menschen, will sie auch teilhaben lassen - aber woran? Die Diagnose hat mein Hirn noch nicht erreicht - kann nicht sein. Ich kann das Tempo nicht mehr gehen. Will ja, dass sie da sind, habe aber keine Zeit und Nerven, um sie teilhaben zu lassen.

31.10. Feiertag. Herz rast, Puls rast. Schwester hier, Familie hier - alles wird gut. Tränen fließen. Schlaf? Angst. Ich ertrage keine OP. Ich habe Angst. Ich drehe durch - kann für meine Kinder keine Stütze sein. Ich! Nur ich. Angst. Puls. Angst.

1.11. Mein großes Kind fährt mich hin, 6.30 h. Aufnahme auf der Station. Puls rast. 10.00 h - ich gehe ins Brustkrebszentrum, lerne Frau Dr. Brückner persönlich kennen, weil sie mir ohne Betäubung einen Draht in die Brust setzt, der einen Anker hat und am Tumor andoggt. Dort wird langoperiert. Mit diesem Draht in der Brust, der ca. 50 cm raussteht, muss ich in die Radiologie, werde geröngt, die Bilder sehen gut aus, man weiß jetzt, wo man langschneiden muss. Ich werde wieder aufs Zimmer gefahren, eine liebe Freundin kommt, wir vertreiben uns die Zeit. Angst. Ich halte es kaum noch aus. 

Gegen 14.00 h werde ich geholt, ab ins UG. Ich muss selbständig auf den OP-Tisch klettern. Angst. Ich liege ca. 15 Minuten vor der Schleuse, festgeschnallt, sehe, wie sie den OP vorbereiten. "Sind Sie nervös? Wollen Sie etwas?" "Nein, ich gehe da durch." 14.30 h schieben sie mich in den OP, ich brauche ewig, bis ich wegdämmere, vorher wird mir kotzübel, der Narkosearzt spricht mit mir, ich erwidere "es hämmert in meinem Schädel, aber ich bin noch da", er gibt die nächste Anweisung mit Mitteln, die in meine Venen fließen, irgendwann bin ich weg, 2 Stunden später wieder wach und irgendwann auf dem Zimmer. Besuch ist da  - bekomme ich kaum mit.

Die nächsten Tage sind voller Angst - haben sie alles erwischt? 3-Bett-Zimmer - ich als Antichrist immer vor mich hinsagend "die Würde des Menschen ist unantastbat" Ich lasse alles mit mir machen - will überleben. Noch vor der OP steht die Dame der Brustkrebsselbsthilfegruppe an meinem Bett, nach der OP eine Psychologin, dann der Sozialdienst - Heureka - bin jetzt 50 % schwerbeschädigt. 2 Drainagen ragen aus meinem Körper mit den entsprechenden Behältern zum Auffangen der Wundflüssigkeit, ich gehe, stehe, nach der Narkose ohne Hilfe aus Klo - Erstaunen beim Personal, dass  ich da so schnell wieder stehe, gehe - und will nur weinen. Schwerbeschädigt? Ich ? Warum? Hej kriege jetzt nen günstiges BVG-Ticket. Und Tag 1 nach der OP habe ich schon "bitte unterschreiben Sie hier" eine Reha beantragt. Stopp! Komm nicht mehr mit. Was ist mit mir? Kann ich mein Tempo gehen? 

Meine liebe süße Krankenschwester "Sie sehen aus, als würde da irgendein Ball in Ihrem Kopf hin und her geschoben und Sie wissen gar nicht was los ist" und ich weiß in der Tat noch nicht, was los ist. Ach - by the way - "wir haben zwar schon den Zugang gezogen, heute bekommen Sie einen neuen - Sie müssen zum CT mit Kontrastmittel. Gucken, ob Metastasen da sind."

Britta ! Ich liebe Dich. Die zwei Abende im Auto - Danke dafür! Heike, Tina - ohne euch wäre ich durch. Das hält man alleine nicht aus.

Kirsten, Du bist meine Heldin. Schon alleine wegen der Haare :) Liebe Dich.

Die OP war gut verlaufen, absolut null Wundschmerz. Warten auf das Ergebnis vom CT. Ich halte nichts mehr aus. CT? Kontrastmittel? Die Würde des Menschen ... und so. 

Heute der erste Befund - CT ist o. B. Ich kann nach Hause, die Drainage 2 wird gezogen. Mittwoch.

Mittwoch bekomme ich die gebündelten Ergebnisse, weiß dann, wie es weitergeht. Nur Bestrahlung? Chemo? 5 Jahre ? Länger? Meine Knochen werden noch durchgeröngt. Ich hatte schon die eine oder andere OP. Jetzt bin ich memmig. Halte nichts aus. Angst.

Liebe Leute, die ihr mich begleitet. ich bin euch dankbar. Ich kann es nicht immer zeigen. Bin immer  noch sprachlos. 12 Tage seit der finalen Diagnose - ich komme nicht mit. Ich? Betrifft es mich? Kann nicht sein. 

Danke an alle im Waldfriede! Ihr seid tolll. Ich durfte heute gehen. Bleibe euch aber erhalten.

Ich muss mir das von der Seele schreiben - weil, es betrifft ja nicht mich, kann nicht sein. So wenig Zeit, soviel passiert. 

Hej, lasst mir mein Tempo! Das gehe ich. Habe seit gestern den 2. guten Tag ohne Puls. Lebe noch. Habe die OP überstanden. Das CT. 

Stay tuned :-) Ich teile. Weil alleine halte ich das nicht aus. Und bei sämtlichen Aktionen für die Brustkrebshilfe bin ich dabei. Der Krebs mit den besten Heilungschancen. Mit einer durchgetakteten Maschinerie, die mich verzweifeln lässt, mich aber auffängt. Mir vielleicht das Leben rettet. 

Hab euch, die ihr an meiner Seite seid, doch sehr doll lieb, kann es nur nicht immer zeigen. Ich soll mich jetzt um mich kümmern. Hört ihr? Ohne euch - nö! Danke, dass ihr da seid.





1 Kommentar:

  1. Finde es toll was du schreibst,bist eine sehr starke Frau. Ich hoffe du heilst und du musst dass nicht alleine durchstehen ! Viel Gesundheit und Lebensfreude an dich,du schaffst das

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